Was hat denn Erdogan Gutes getan?
Ich sehe eigentlich nur, dass er von den Weichenstellungen der vorherigen Regierung profitiert hatte, staatliche Projekte anschob, die vor ihm andere Leute geplant hatte - von den richtigen Größenwahnprojekten vielleicht abgesehen, die eigentlich nicht nötig sind.
Anfangs buhlte er noch um die Gunst seiner Kritiker, zeigte aber zunehmend mehr sein wahres Gesicht. Im Grunde genommen aber verfolgte er von Beginn an die gleichen Ziele, wurde nur zunehmend immer machtbesoffener, so dass er jetzt offener seine Ziele vertritt, nämlich die Abschaffung der demokratischen Grundprinzipien durch die Bündelung der Macht in einem Amt und die Errichtung eines islamischen Gottesstaates.
Immerhin hat er sich jetzt nicht getraut, den "Testballon" des islamisch-sunnitisch geprägten Staates selbst platzen zu lassen, um die Reaktionen abzuwarten, aber mich würde es nicht wundern, wenn Erdogan selbst dahinter steckte.
Erdogan ist nicht dämlich - er weiß die geostrategische und geopolitische Lage der Türkei für sich zu nutzen. Das sieht man gegenwärtig mit der Flüchtlingssituation, aber auch, wenn es um die Energieversorgung Europas geht. Damit hat er noch ein Druckmittel - noch.
Noch etwas mehr Großmanntum und Großmachtgehabe, und er kann die Türkei auch ganz schnell in die politische Isolation treiben.
Kehrt er das Türkentum und eine Art religiöse Führerschaft in der Welt zu sehr heraus, dann wird er sich nicht nur von Europa isolieren, sondern auch von seinen sunnitischen muslimischen "Brüdern", die, arabischstämmig, ihren türkischen Nachbarn gegenüber mindestens skeptisch und meistens auch nicht immer wohlgesonnen gegenüber stehen.
Die Türkei wäre ohne Erdogan und seine Partei offensichtlich besser bedient. Aber letztendlich wurde ja demokratisch gewählt. Von daher bin ich der Auffassung, dass es die Türkei auch nicht besser verdient hat, wenn weite Teile der Bevölkerung diesen Mann unterstützen.
Schlimm ist eigentlich nur dabei, dass Erdogan den Staat schon so weit in der Hand hat, dass Pressezensur und Kontrolle über die Rechtsprechung und Polizei einige türkische Staatsbürger zur Unterstützung dieses Mannes manipuliert.
Das macht er auch sehr geschickt, indem er andere Demokratiefeinde bekämpft, aber gleichzeitig seine eigenen, wenig demokratischen Ziele verschleiert.
Deshalb wird es für die Türkei schwierig, diesen Mann vom Hals zu bekommen - aber wie gesagt, vielleicht hat sie es auch nicht besser verdient, weil die Menschen für demokratische Verhältnisse noch nicht weit genug sind. Atatürks "Zwangsdemokratie" scheint jedenfalls gescheitert, weil sie nicht wirklich in den Köpfen der Leute angekommen ist und an sich durch einen merkwürdigen "Staatsgründer-Kult", Nationalismus und vor allem der wenig demokratischen Rolle des Militärs gestützt wurde.